„Ich muss noch etwas beweisen“

Benjamin „Casper“ Griffey über sein Album „Hinterland“, Wahrheit im Pathos und die Schönheit des Moments
 
Der 1982 in Westfalen geborene Benjamin Griffey verbrachte seine Kindheit in Georgia/USA und kam als Teenie in die deutsche Provinz zurück. Unter dem Pseudonym Casper packte er sein bisheriges Leben voller Schicksalsschläge in das Meilenstein-Album „XOXO“, das, obwohl stilistisch eine Mischung aus Rap und Indie-Rock, vom dunkeln Berührungsfaktor her durchaus als beste Gothic-Platte der letzten Jahre durchgeht. Casper spricht für eine ganze Generation, die in einer Welt nach Glück sucht, die sie doch immer und immer verzweifeln lässt. Menschen also, die Anfang der 90er Goethes Erben gehört haben. Kein Wunder also, das Casper, auch dank seiner „schwarzen“ Schwester, in seinen Teenie-Tagen auch mit GE konfrontiert war. Der XOXO-Nachfolger „Hinterland“ ist eine der am sehnlichsten erwarteten Pop-Platten dieses Jahres, und sie ist bemerkenswert. Tim Hofmann hat sich mit Benjamin Griffey über Casper unterhalten.
 
((tim)): Stimmt es, dass „Hinterland“ ein Not-Name ist, weil Deinen Lieblings-Albumstitel jeder komplett daneben fand?
Benjamin Ja, ich wollte die Platte eigentlich „Uckermark“ nennen. Erstens habe ich „XOXO“ in der Uckermark geschrieben, und zweitens klingt die Platte sehr hölzern, offen und folkig – ich fand, das hätte perfekt gepasst. Aber jeder hat mich nur mit großen Augen angesehen und ausgelacht, also habe ich mich dagegen entschieden, obwohl ich allein den Klang des Wortes „Uckermark“ sehr mag. Und ich mag die Uckermark sehr!
 
((tim)): „XOXO“ klang nach trotzigen Tränen. Würdest Du zustimmen, dass „Hinterland“ eher was von nachdenklichem Rotwein hat?
Benjamin: Rotwein stimmt auf jeden Fall. Es ist aber auch eine Tanzflächenplatte. Da sind doch voll die Dancefloor-Hits für die Indie-Disko drauf!
 
((tim)): Trotzdem ist „Hinterland“ ein fetter „Grower“, der sich erst nach mehreren Durchläufen wirklich erschließen lässt…
Benjamin: Na, das hoffe ich aber auch! Ich habe lieber eine Platte, die nachzündet, als eine, die schon nach dem ersten Hören voll klar ist.
 
((tim)): Das ist mutig, zumal Du an einigen Textstellen die Furcht durchblicken lassen, man könnte Dir nicht zuhören. Woher kommt diese Angst nach dem Jahrzehnt-Album „XOXO“, das bereits sehr vielen Menschen als Meilenstein gilt?
Benjamin: Ich bin großer Alben-Fan und habe noch nicht das Gefühl, mit „XOXO“ schon den großen Klassiker abgeliefert zu haben. Mir schmeichelt es zwar extrem, wenn Leute das sagen, aber ich jage noch dem wirklich großen Album nach. Ich will auch mein „Unknown Pleasures“ schaffen, mein „Dark Side of The Moon“ oder „Born To Run“. Ich habe immer das Gefühl, da noch etwas beweisen zu müssen und denke, jeder Künstler macht letztlich seine Kunst, um unsterblich zu werden. Auch wenn ich vielleicht etwas verbissen bin, was diesen Kampf angeht. Mir ist während der Produktion klar geworden, dass ich meine Karriere nicht stringent aufbauen will. „Hinterland“ ist für mich nicht der Nachfolger von „XOXO“, sondern ein Reset. Die Karten sind komplett neu gemischt. Wenn ich mit dem Denken rangegangen wäre, irgendwo anknüpfen zu müssen, wäre ich wahnsinnig geworden! Für mich ist ein in sich stimmiges Gesamtprodukt wichtig. Ich bin daher auch ein extrem schlechter Singleschreiber.
 
((tim)): Stattdessen können „Texte … Leben retten“, wie Du rappst?
Benjamin: Das glaube ich tatsächlich. Als ich nach Bielefeld gezogen bin, hatte ich wirklich nichts, nur meine Matratze und einen Toaster. Da ist mir eine Platte in die Hände gefallen, die mir extrem viel Kraft gegeben hat – was ich vorher für klischeehaftes Denken gehalten habe, aber das gibt es wirklich. Bei mir war’s „Background Music“ von American Nightmare. Kann ich empfehlen!
 
((tim)): Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Editors-Sänger Tom Smith?
Benjamin: Ich habe in den Interviews zu „XOXO“ wohl arg oft erwähnt, dass ich riesiger Editors-Fan bin, sodass das sogar nach England geschwappt ist. Jedenfalls hat Tom davon gehört und sich bei mir gemeldet. Wie haben in Berlin vier Tage lang Songs geschrieben, das war ein irrer Film für mich war! Ich finde alle Editors-Alben wahnsinnig gut.
 
((tim)): Auch „The Weight Of Your Love“?
Benjamin: Ja, das ist als Gesamtwerk nicht so stark wie die ersten beiden Platten. Aber es sind sehr, sehr gute Songs drauf, wenn man sich damit einmal genauer beschäftigt.
 
((tim)): Deiner Generation wird gern vorgeworfen, genau das nicht mehr zu tun: sich tiefer mit Musik auseinanderzusetzen. Hast Du  Angst vor den möglichen Reaktionen auf „Hinterland“?
Benjamin: Nein, ich bin nur sehr gespannt. Ich würde es nicht mal nervös nennen, eher freudig aufgeregt. Ich hoffe natürlich, dass „Hinterland“ als Gesamtwerk wahrgenommen wird, Viele hatte schon Fragezeichen nach den ersten Singleauskopplungen. Da habe ich immer versucht, beruhigend einzuwirken: „Hey, wartet, hört euch das ganze Album an, und dann reden wir darüber.“ Ich bin sehr stolz auf die Platte. Selbst wenn sie katastrophal floppen sollte, wäre sie für mich ein Erfolg, weil ich mit den Leuten, mit denen ich die Platte machen wollte, sie auch machen konnte. Und weil sie geworden ist, wie wir uns das vorgestellt haben.
 
((tim)): Ist das der Grund, warum das Kraftklub-Feature „Ganz schön okay“ so entspannt klingt?
Benjamin: Wir haben gemeinsame Wurzeln, sind lange als Underdogs rumgezogen. Die letzten zwei Jahre auf Festivals und auf Tour haben wir sehr genossen. Man muss einfach mal sagen: So wie es gerade ist, ist es hammermäßig schön! Wir haben das Lied in Chemnitz im Proberaum von Kraftklub aufgenommen, um genau diesen Moment festzuhalten.
 
((tim)): Trotzdem ist Casper irgendwie am besten, wenn die Stücke trauriger, nachdenklicher sind.
Benjamin: Ja, das liegt mir tatsächlich besser als Partytexte. Ich arbeite sehr retro-
spektiv und oft stark autobiografisch. „Hinterland“ ist nach wie vor eine Aufarbeitung der letzten Jahre, meiner schwierigen Zeit als Student, als ich extrem karg und arm gelebt habe. Das ist nicht weg, nur weil alles plötzlich so groß geworden ist.
 
((tim)): Nochmal zu „XOXO“: Was ist denn am 23. April 2009 passiert?
Benjamin: Ups. Das behalte ich besser für mich.
 
((tim)): Hat die Frau wenigstens auf das Lied reagiert?
Benjamin: Hat sie. Erst sehr wütend, aber jetzt sind wir wieder Freunde.