Die Ankündigung des Verlages Thienemann, in einem beliebten Kinderbuch einige wenige Worte zu ändern, hat in den letzten Wochen zu einem Debatten-Tsunami geführt, bei dem es um zwei Dinge nicht geht: Kinderbücher und Rassismus.
Als Elternteil, erst recht mit mehreren Kids (oder sagt man besser „Knaben und Mägdelein“?), ist man in der Regel semiprofessioneller Kinderbuch-Vorleser. Und wer muss sich als solcher nicht wie Familienministerin Kristina Schröder („Südseekönig“, „das Gott“) dazu bekennen, gelegentlich Fälscher zu sein? Abends am Bettchen werden nicht nur Sätze versehentlich falsch abgelesen – nein, es wird je nach Gusto gekürzt, verlängert, weggelassen oder grob geändert. Da mag das Zahnwehmännlein plötzlich auch Popel gern, damit der Nachwuchs die Finger aus der Nase nimmt. Die Abendgebete bei Astrid Lindgrens „Lotta“ fallen weg sowie bestimmte, individuell ungeliebte Gruselstellen unter den Tisch. Und kommen dummerweise genau die Worte im Text vor, die man im Augenblick „einfach nicht sagt“, dann wird dem Nachwuchs eben – schwupp – das literarische Original vorenthalten. Verflixte Hühnerkacke!
Insofern war es schon spannend, die in den letzten Tage hochbrodelnde Debatte zu verfolgen, die sich vor allem an den Plänen des Thienemann-Verlages entzündete, in Otfried Preußlers Klassiker „Die kleine Hexe“ die Worte „wichsen“ und „Neger“ durch trefflichere Begriffe zu ersetzen. Ein nettes Gesprächsthema an der Kindergartentür, etwas für die Zeitungsseite „Aus aller Welt“, wo die unterhaltsamen Kopfschüttel-Kuriositäten aus der Sack-Reis-in-China-Kategorie eben landen.
Aber denkste: Ganz so auf die leichte Schulter, so musste man lernen, ist es nicht zu nehmen, wenn an der Kinderbettkante Weltliteratur zerstört wird. Schnell hatten die Vertreter beider Seiten die ganz großen Verbalknüppel unterschiedlicher Moralfarben in der Hand. Das Wort „Neger“ wurde etwa als rassistischer Ausfall im Kolonialherren-Stil gegeißelt. Die Gegenseite konterte wenigstens mit „Zensur“-Vorwürfen, sah für die Freiheit der Kunst so dunkle Wolken aufziehen als hätte man den Taliban die Schlüssel für den Kölner Dom überantwortet und verwies natürlich auf den diktatorischen „Neusprech“ aus George Orwells „1984“. Spätestens, als ein Kollege bei der internen Kaffeetisch-Diskussion zur Güte vorschlug, der Verlag könne ja eine spezielle Werksedition mit erläuternden Anmerkungen und Fußnoten herausgeben (eines – Hallo! – Vorlese-Kinderbuches?), war klar, dass die Debatte in eine Sackgasse torkelt.
Doch da hatten Kulturpolitiker schon Bundestagsdebatten zum Thema gefordert, Bundesjustizministerin Brigitte Zypries „Die kleine Hexe“ mit Goethe und Schiller verglichen und Spiegel-Online-Kolumnist Jan Fleischhauer dem „politisch korrekten“ Gegner beschieden, sich mit derlei Textmanipulationen auf eine „Trottelsprache“ zuzubewegen. Sogar die Wochenzeitung „Die Zeit“, für derlei Medienphänomene eigentlich mit der schönen Mikro-Rubrik „Prominent ignoriert“ bestens gewappnet, widmete dem Thema Titelseite und Dossier, um zu klären, wie rassistisch Kinder unter dem Einfluss von Michael Endes „Jim Knopf“ werden – und wie fortschrittlich es überhaupt sein könne, beliebte Kinderbücher „umzuschreiben“. Wenn dann aus dem breitgewalzten Diskussionsmatsch überhaupt noch so etwas wie eine Quintessenz heraustroff, dann die, dass man mit Büchern und ihren Texten sorgsam umgehen müsse.
Klar, dass der Thienemann-Verlag mit seiner Stellungnahme zum Thema da nicht mehr durchdrang – immerhin standen unpassende, weil deeskalierende Fakten drin: Die Änderungen sind noch gar nicht erfolgt, sondern erst für die Neuauflage im Sommer 2013 geplant. Und zwar – ups! – in Absprache und Einvernehmen mit Otfried Preußler. Immerhin: der Autor! Auslöser waren auch keine Rassismus-Vorwürfe gegen ihn, sondern einfach Verlagsmenschengedanken. Zum Buch, nicht um Merchandise. Aber egal: Hauptsache, „Konservative“ und „Fortschrittliche“ hatten mal wieder eine toll-deutsche Bühne für ihre tiefe gegenseitige Verachtung gefunden. Vielleicht können die Kinder wenigstens daraus was lernen.
Aber natürlich bleiben auch Fragen: Ist der Begriff „Modernisierung“ für die komplett inhaltsneutrale Änderung von zwei Begriffen in zwei Kinderbuch-Kapiteln semantisch bereits vertretbar? Mit welchem Synonym für „behutsam“ könnte man Vorgehen des Verlages noch umschreiben? Bedeutet es, wenn der Begriff „Neger“ nicht wirklich schlimm ist, im Umkehrschluss, dass er, weil alt, daher kulturell wichtig und ergo entsprechend hochwertig, auch verteidigt, politmächtig geschützt und zwingend an die nächste Generation weitergegeben werden muss? Und was hat sich der Klett-Cotta-Verlag dabei gedacht, 2001 in der deutschen Neufassung des „Herrn der Ringe“ aus Samweis Gamdschies beliebter Anrede „Herr Frodo“ ein saloppes „Chef“ zu machen, ohne es damit auf die Titelseite des „Spiegel“ zu schaffen oder in die „Tagesthemen“?
Und was die „Belastbarkeit“ von Kindern angeht: Ja, auch über „wichsen“ sollte man mit ihnen reden. Aber frühestens, wenn sie „Die kleine Hexe“ schon selber lesen können. Bis dahin ist es okay, wenn statt dessen „geputzt“ und „verhauen“ wird …
von ((tim))