Missstände gibt es viele auf diesem Planeten. Missstände, an denen dringend etwas geändert werden müsste. Blendet man einmal Dinge aus, bei denen durchaus über Pro oder Contra diskutiert werden könnte, bleibt immer noch genug übrig, das jederman unstrittig als Missstand ansieht: Krieg. Hunger. Umweltzerstörung zum Beispiel. Die Frage, die wohl jeden Menschen irgendwann umtreibt, lautet also: Kann man als Einzelner etwas tun?
Oft versucht man sich damit zu trösten, dass die Antwort auf diese Frage eben dummerweise systembedingt „Leider nein“ lauten muss. Doch es gibt immer wieder Menschen, die sich mit einer Mischung aus Ideen und Empathie, Zivilcourage und Idealismus, Tatkraft und Entschlossenheit aufraffen, um es einfach mal mit einem „Ja, natürlich!“ zu versuchen: Man spendet für eine gute Sache, wirft einfach eine so lieb gewonnene wie schädliche Angewohnheit über Bord – oder setzt sich für eine Sache mit direkten Taten ein.
Bestes Beispiel für derart aktive Zivilcourage zum Wohl der Welt ist die amerikanische Umweltschutz-Organisation „Sea Shepherd Conservation Society“, die auf allen Weltmeeren gegen Umweltfrevel aller Art vorgeht. Bekannt ist sie vor allem für ihre nicht eben zimperlichen Methoden gegen Walfang in der Antarktis, der zwar laut internationalen Abkommen geächtet ist, dort aber erst durch waghalsige Sea-Shepherd-Aktionen zum Erliegen gebracht wurde. Was bewegt einen Menschen, sich derart massiv für eine Sache einzusetzen? ((tim)) sprach mit Sven „Maddy“ Matthiesen, dem Geschäftsführer von Sea Shepherd Deutschland e.V. |
|||||||||||
((tim)): Wie bist Du dazu gekommen, Dich für Sea Shepherd zu engagieren? Maddy: Über die Fernsehserie „Whale Wars“, die in den USA ja seit vielen Jahren erfolgreich ist und nun auch bei Dmax in Deutschland läuft. Dort wird in mehreren Staffeln dokumentiert, wie die Sea-Shepherd-Besatzungen mit oft drastischen Manövern, mit Seilen und Schlauchbooten und Jetskis im Eismeer Harpunenschiffe daran hindern, Wale zu schlachten. Anfangs fand ich das Vorgehen vollkommen durchgeknallt. Aber dann habe ich mich schlaugemacht, warum die das tun. Ich habe erkannt, dass es sehr effektive und durchdachte Aktionen sind, und dass es um Probleme geht, die wirklich gravierend sind, in den Medien aber viel zu sehr unter den Tisch fallen. Da habe ich mich für einen Posten auf einem Sea-Shepherd-Schiff beworben und bin mit ins Südpolarmeer gefahren.
((tim)): Die meisten Menschen würden in so einem Fall erst einmal eine Spendenüberweisung ausfüllen. Wieviel Mut und Überwindung musstest Du aufbringen? Maddy: Man muss schon Idealismus haben, die Sache muss einem am Herzen liegen. Ich habe mit meiner Familie gesprochen und mittlerweile meinen regulären Job aufgegeben, um mich als hauptamtlicher Geschäftsführer auf die Arbeit für Sea Shepherd zu engagieren. Aber ich musste nun auch nicht todesmutig alles über Bord werfen, mir ist nicht jedes finanzielle Risiko egal – aber ich hab das mit meiner Frau durchgerechnet, und es war zu machen. Am meisten hilft es mir zu spüren, dass ich damit wirklich etwas bewirken kann, auch wenn es hart ist. Es ist dort unten recht ungemütlich, wenn man sich bei Minus 20 Grad entschließt, die Heizung im Schiff abzuschalten, um mit dem gesparten Diesel noch eine Woche auf See dranzuhängen. Ich weiß, dass dort jeder Dollar dreimal umgedreht und dann für die Sache eingesetzt wird. Das spornt an, diese Effektivität ist ein verdammt gutes Gefühl.
((tim)): Wie gehst Du damit um, dass Sea Shepherd mitunter Militanz vorgeworfen wird? Maddy: Obwohl unsere Aktionen mitunter sehr spektakulär aussehen, ist dabei in 35 Jahren niemand ernsthaft verletzt worden. Wir nehmen, um Lebewesen zu schützen, schon gelegentliche Sachbeschädigung in Kauf – unsere Aktionen richten sich aber immer nur gegen Schiffe oder Fanggerät, nie gegen Besatzungen.
((tim)): Trotzdem nehmt Ihr das Recht in eure Hand mit Aktionen, die beispiellos sind – Ihr vermeidet einerseits Gewalt, geht aber andererseits auch weit über die herkömmlich anerkannten Protestformen hinaus. Wie findet Sea Shepherd die richtige Balance zwischen Wirksamkeit und Gesetzestreue? Maddy: Wir sind keine Protestorganisation. Wir handeln. Dazu berufen wir uns auf die Weltcharta der Vereinten Nationen für die Natur. Die besagt, dass jeder Mensch der Erde das Recht zum Einschreiten hat, wenn Verbrechen gegen die Umwelt begangen werden und keine offizielle staatliche Macht dort ist, um dagegen vorgehen zu können. Friedlicher Protest bringt eben nicht immer etwas. Wir sind auf unsere Weise auch die effektivste Meeresschutz-Organisation der Welt, wir haben im Südpolarmeer beispielsweise über die Jahre 35.000 Wale gerettet. Wir haben erreicht, dass in Europa Robbenprodukte nicht mehr auf den Markt gebracht werden dürfen und die Nachfrage zusammengebrochen ist. Militant anmutende Aktionen sind dabei nur ein kleiner Teil. Oft genügt es auch schon, Vergehen zu dokumentieren, ans Licht der Weltöffentlichkeit zu bringen – der resultierende öffentliche Protest macht dann die Arbeit.
((tim)): Euer Ruf eilt Euch auf hilfreiche Weise voraus, mit ihm hat sich Sea Shepherd quasi eine zusätzliche Waffe erarbeitet? Maddy: Inzwischen schon. Walfänger und andere Umweltsünder wissen mittlerweile genau, wenn wir da sind, können sie eh nix mehr machen. Oder jedenfalls nicht so, dass es sich für sie noch lohnt. Im Mittelmeer haben 2010 illegale Thunfisch-Trawler gefunkt: „Oh Gott, die Verrückten sind da!“ Und haben abgedreht. Oft reicht es da schon, wenn wir ein Schiff stellen und es auffordern, die illegalen Aktivitäten einzustellen. Wir nerven!.
((tim)): Die Sea Shepherd Conservation Society wurde bereits 1977 gegründet und wird von vielen Promienten wie Pierce Brosnan, Pamela Anderson, dem Dalai Lama, Sean Connery, Fürst Albert von Monaco oder den Red Hot Chili Peppers aktiv unterstützt. Warum hat es in Deutschland so lang gedauert, dass die Organisation auch hier wahr- und ernst genommen wurde? Maddy: Einerseits daran, dass die deutsche Sektion erst 2010 als Verein gegründet wurde. Andererseits aber auch an den Medien. Vor allem beim Fernsehen ist das Interesse gering und die Unsicherheit groß. Da hält man sich offenbar lieber an Castingshows statt an die richtigen Probleme des Planeten. Das ist in anderen Ländern anders. In den USA sind die fünf Staffeln „Whale Wars“ als eine der erfolgreichsten Doku-Serie gelaufen – in Deutschland dagegen wird kurz ein Sea-Shepherd-Schiff gezeigt und drunter Logo und Hotline einer anderen Umweltorganisation. Aber wir haben in den letzten anderthalb Jahren schon sehr viel erreicht mit unseren wenigen Mitteln. Man darf nicht vergessen, dass in Deutschland derzeit rund 100 Leute für Sea Shepherd arbeiten, und zwar fast ausschließlich ehrenamtlich neben Job und Studium. Wir waren 2011 etwa bei rund 100 Veranstaltungen präsent, auf zahlreichen Messen oder der gesamten Tournee der Ärzte etwa. Dafür ist die Spendensituation phänomenal. Das Geld aus Deutschland hält unsere Schiffe für Tage länger auf dem Wasser.
((tim)): Vor allem in der Pop- und Rockkultur ist Sea Shepherd beliebt, Gründer Paul Watson wurde etwa von Metallica zu „Rock am Ring“ eingeladen. Ist es eine Gefahr, vor allem als rebellische Radautruppe mit cooler Piratenfahne wahrgenommen zu werden? Maddy: Wir machen ja keinen Radau. Wer sich mit uns beschäftigt, stellt schnell fest, dass es uns mit ganzem Herzen um effektiven Umweltschutz geht. 75 Prozent unseres Planeten sind von Wasser bedeckt, wenn wir den Ozean nicht schützen, bekommen wir bald ein riesiges Problem. Walfang im Südpolarmeer zu betreiben, dass ist, als würde man in einen Zoo gehen und einen Tiger über den Haufen schießen. Millionen Haie werden wegen Flossen gekillt. Wenn der oberste Jäger in den Ozeanen bedroht wird, nur damit seine Flossen in irgendwelchen asiatischen Suppen schwimmen können, wird das Gleichgewicht des ganzen Ökosystems bedroht. Und wenn die Ozeane sterben, sterben wir alle. Und unsere Flagge hat dabei einen sehr tiefen Sinn: Der Dreizack steht für Gerechtigkeit, der Hirtenstab für das Behüten und der Totenkopf für die alte Idee, dass man, um einen Piraten zu bekämpfen, selbst in gewisser Weise ein Pirat sein muss. Zumindest muss man das Handwerk verstehen.
((tim)): Trotzdem scheint es Euch an politischer Lobby noch zu mangeln. Als Paul Watson im Sommer in Deutschland verhaftet wurde, kam von keiner der hiesigen Parteien Protest … Maddy: Wir sind ja keine politische Organisation. Vielleicht schreckt das Politiker ab, für unsere Sache Partei zu ergreifen. Wir setzen eben Gesetze um, wo keiner da ist, wir sind nicht diplomatisch. Wenn es uns nur darum ginge, zu protestieren, wäre das für eine Lobby vielleicht besser. Doch wir tun als anerkannte Nichtregierungs-Organisation eigentlich die Arbeit der ausführenden Organe, die dabei oft versagen. Wenn man der Politik vorführt, wo ihre Defizite liegen, dann ist das natürlich auch ein Tritt vor’s Schienbein. Ich weiß aber, dass von Seiten der Grünen oder der Jung-FDP diverse Vorstöße unternommen wurden. Es wurde versucht, über diverse Parteien Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zu überreden, sich mal mit Paul Watson zu treffen. Am Rande der Bayreuther Festspiele hätte das sogar fast geklappt, aber letztlich hat man unsere Anliegen dann doch noch auf die lange Bank geschoben.
((tim)): Das Klima ist als Problem aktuell sehr im kollektiven Bewusstsein. Woher stammt Ihrer Ansicht nach der Eindruck, dass der große Ozean momentan eher unser kleinstes Problem ist? Maddy: Das Problem ist, dass man meint, sich freikaufen zu können. Man schraubt sich einen Kat ans Auto, beruhigt sein Gewissen mit Bio-Sigeln – aber möglichst ohne Einschränkung beim Lebensstandard. Für billige Fischstäbchen gibt es schwimmende Fangfabriken – wo die fischen, wächst Jahrzehnte nichts mehr. Warum wird der Bau solcher Schiffe genehmigt? Warum gibt es in Europa immer noch keine Quoten für den Blauflossen-Thunfisch, dessen Bestände schon kollabiert sind? Warum wird der nicht auf die Rote Liste gesetzt, nur weil jeder gern seinen Thunfisch isst? Der Regenwald ist sicher wichtig – doch was der für das Klima der Welt tut, ist ein Bruchteil dessen, was durch die Ozeane geleist wird. Viele Probleme sind verglichen mit denen der Meere doch erheblich kleiner..
|
Archiv für den Monat November 2012
Neue Werke
In unseren beiden Konzerten am 23. 11. in Chemnitz und am 24.11. in Berlin werden erstmals neue Werke zu hören sein, die wir Anfang 2013 aufnehmen und danach auch als Tonträger veröffentlichen wollen. Die Art und Weise steht noch nicht fest, aber aktueller Diskussionsstand ist, die Stücke jeweils stilistisch und thematisch passend auf verschiedenen EPs zu bündeln. Die erste trägt den Arbeitstitel „Kinderlieder“. Vorab sollen an dieser Stelle schon einmal die Hintergründe zu den neuen Werken (in der Reihenfolge, in der sie zwischen bereits bekannten Stücken die Konzert-Setliste bilden) erläutert werden:
„Tag und Nacht“ vermischt teilweise recht radikal-ambiente Elektronik mit grimmigen Gitarren-Eruptionen auf für fetisch:MENSCH sehr ungewohnte Weise. Der Text behandelt die Tatsache, dass die Zeit entgegen des Sprichwortes eben nicht immer alle Wunden heilt: Manchmal verändert sie nur die Art des Schmerzes – man muss dann lernen, ihn als täglichen Begleiter sowie in jeder Nacht zu akzeptieren und aus seiner Veränderung Kraft zu ziehen.
„Ich bin übrig“ ist episch-orchestrale Ambient-Filmmusik, die in ihren Grundzügen von sToa-Kopf Olaf Parusel komponiert wurde und als „Appetithappen“ für den neuen Weg der Band steht: Tim hat zusammen mit Olaf noch weitere Ideen für fetisch:MENSCH in Arbeit. Oswalds Text behandelt die Gefühle eines allein gelassenen Menschen, der als Witwe(r) oder Waise sein Gegenstück verloren hat und nun mit der Erwartung der Restwelt kämpft, die ihm zwar eine gewisse Trauerzeit zugesteht, in dieser aber eine Verarbeitung des Verlustes erwartet. Warum wird eigentlich nicht akzeptiert, dass der Verlust eine grundlegende Veränderung sein kann? Und warum gibt es keinen Namen für Eltern, die ihre Kinder verloren haben?
„Abschied“ ist ein überwiegend ruhiges, dezent postwaverockiges Lied über die Kunst und Notwendigkeit des Abschiednehmens, eine Ode an den Schlussstrich – beziehungsweise dessen halbwegs konsequenten Versuch und die Hoffnung, dass er gelingen möge …
„Sieh mein Sohn“ ist das bisher vielleicht politischste Stück von fetisch:MENSCH: Dekonstruierter Pop, der aus aktuellem Anlass die Wunden des Krieges thematisiert.
„Schwarzer Schnee“ ist ein treibendes Rock-Werk mit griffiger Hookline und gehörig explosivem Electro-Anteil, dass den Verrat der Eliten thematisiert. Zugegeben, nicht mehr ganz unbekannt, da wir es schon auf einigen Konzerten gespielt haben – dennoch unveröffentlicht.
„Wahrheitsschmerzen“ erzählt die Geschichte einer schmerzhaften Erleichterung: Man will von einem nahe stehenden Menschen unbedingt die Wahrheit hören und hofft dabei, dass sie den eigenene Hoffnungen und Wünschen entsprechen möge. Der nahe stehende Mensch entschließt sich aus Zuneigung, diese auch auszusprechen – obwohl sie sehr schmerzhaft ist, da sie den Hoffnungen eben nicht entspricht. Das fühlt sich nach einem schlimmen Riss an und entzweit vielleicht sogar dauerhaft – doch es mischt sich das trotz aller Bitterkeit gute Gefühl bei, dass man eben das Richtige, Wahre erfahren hat. Dass es letztlich gut so ist, weil jeder hoffnungsfroh unwahre Weg letztlich in die Irre führen muss.
„Wir warten“ ist eine ruhige Akustik-Pop-Nummer, die die angenehme Ruhe des Wartens mit der Unbefriedigung des Stillstandes koppelt: Mitunter muss man lernen, die selbst verschuldete Ergebnislosigkeit als einzig mögliches Ergebnis zu akzeptieren: Weil man nichts getan hat, außer die sanfte Stagnation des Anhaltens zu genießen.
„Damalskinder“ ist ein recht komplex-experimentelles Electrorock-Stück aus dem „KInderlieder“-Zyklus: Wir sind nicht, was wir sind – wir sind geworden, was wir sind. Und wir waren einst unbeschriebene Blätter, chancengleich und kindlich unschuldig.
„Und wo es schreit“ ist ein ausgesprochen episches Ambient-Stück mit einer erdrückenden Atmosphäre, aus unserer Sicht der bisherige Höhepunkt der Bandgeschichte. Wer klar zu sehen vermag, sieht auch die zerstörerischen Kreisläufe klar, in denen der Mensch sich bewegt. „Wir kochen Leim aus den Knochen toter Kinder und kleben damit das Geld ans Kapital“…